Gott gebe uns ein Herz für Gottes Wort und ein Wort für unser Herz.

Wenn ich mich mit meinem Großvater unterhalten habe, dann sagte er oft: „Ich kann mich nicht beklagen – ich habe im Leben immer Glück gehabt!“ Und irgendwie hatte er auch recht. Als kaum Volljähriger meldet er sich freiwillig bei der Marine, um den Stellungsbefehl zu den Panzergrenadieren in Polen zu entgehen. Seine Kollegen fallen allesamt in Polen an der Front, während er Funker wird und die letzten Kriegsjahre in der relativen Sicherheit einer Schaltzentrale verbringt bei einem gut gedeckten Tisch und einem stets warmen Bett. Nach dem zweiten Weltkrieg dann findet er eine Frau, die ihn liebt und sein Leben lang begleitet. Er wird Vater, arbeitet als Laborant im Hüttenwerk einer kleinen Stadt im Ruhrgebiet und darf mit Ende 50 bereits in Rente gehen. Fit und mobil genießt er die freie Zeit, unternimmt viele Reisen und ist häufig bei seiner Enkelin in Berlin. Zeit, auf die er gerne zurückgeschaut hat. Zeit, die das Leben für ihn lebenswert gemacht hat. Eigentlich doch ein rundes Leben. Nein, eigentlich kann er sich nicht beklagen, hat er dann immer gesagt. Und ich hab mich für ihn gefreut.

Und doch sind da auch diese ganz anderen Momente. Von denen hat er auch oft erzählt. Dass er nachts wach lag und gegrübelt hat und nicht einschlafen konnte. Dass er darüber nachgedacht hat, weshalb der Kontakt zur eigenen Schwester so schwierig war und zuletzt sogar abgebrochen ist. Hätte man da vielleicht nicht doch nochmal drüber reden können? Sich versöhnen können vor ihrem Tod? Und dann ist da der uneheliche Sohn, der bei den Großeltern aufgewachsen ist. Hätte man da nicht mutiger sein müssen und sich den Erwartungen der Familie und der Gesellschaft widersetzen müssen? Hätte das nicht alle ein Stück weit glücklicher gemacht? Solche Fragen ließen meinen Großvater nachts nicht los, brachten ihn regelrecht um den Schlaf. Ja, wenn er gekonnt hätte, hätte er manches wohl doch anders gemacht im Leben. – konnte er aber nun mal leider nicht. Die Zeit lässt sich eben nicht zurückdrehen. Manches bleibt offen und unfertig im Leben.

So wie meinem Opa geht es vermutlich vielen Menschen am Ende ihres Lebens. Sie schauen auf einzelne Bruchstücke, Gelungenes und weniger Gelungenes und versuchen, diese Bruchstücke zusammen zu fügen. Manchen gelingt das und sie gehen zufrieden. Andere tun sich schwer und hadern bis zuletzt mit sich und der Welt. Der eine hätte sich gern noch einmal ausgesprochen mit jemandem, die andere hätte doch lieber den Beruf gewechselt, um nicht jeden Tag als eine mühsame Plackerei zu erleben und neidvoll auf diejenigen zu schauen, die sich beruflich verwirklichen konnten. Der eine hätte gerne mehr gesehen von der Welt und erlebt, die andere hätte gerne eine Familie gegründet, wäre gerne häuslich geworden. Und so manch schwerer Schicksalsschlag – der Tod eines geliebten Kindes, eine schwere und schmerzvolle Krankheit oder ein kaltes und abweisendes Elternhaus, ja, ach wäre einem das doch alles bloß erspart geblieben! Denn es passt nicht zum vorherrschenden Zeitgeist, der behauptet: Jeder ist seines Glückes eigener Schmied. Alles Eckige und Scharfkantige in unserem Leben könne man entschärfen und glattschleifen, wenn man nur hart genug daran arbeitet.

Nun, die Realität ist oft eine andere: die Fehler, die wir machen, all unsere Rückschläge und Traumata hinterlassen Spuren in unseren Leben, die nicht selten zu Furchen in unseren Gesichtern und Narben in unseren Herzen werden. Und das soll es nun alles gewesen sein? fragt sich mancher oder manche angesichts verpasster Lebenschancen und schmerzhafter Erfahrungen am Ende seines Lebens vielleicht wehmütig. Ja, manches bleibt offen und unfertig in diesem Leben.

Genau hier hakt die Bibel ein. Sie antwortet auf manche Resignation und Verzweiflung mit starken Bildern der Hoffnung. Ein sehr konkretes finden wir beim Propheten Jesaja im 65. Kapitel. Der Prophet entwirft darin die Vision einer für ihn vollkommenen Neuschöpfung. Sie steht im Gegensatz zu der Schöpfungserzählung aus Genesis 1, die uns die Mühen unseres täglichen Lebens erklären soll. Weil Adam und Eva vom Baum der Erkenntnis gegessen haben, müssen sie das Paradies verlassen und sich mit den Widrigkeiten des Lebens herumplagen. In der vollkommenen Welt, wie Jesaja sie hingegen beschreibt, sind Menschen wieder sorglos und fröhlich, sie leben lange und gesund. Sie tun sinnvolle Arbeit, die sie erfreut und müssen sich keinerlei Sorge um ihre Kinder und ihre Altersvorsorge machen. Feinde schließen Frieden, ja in dieser Welt Jesajas lässt es sich wahrlich gut leben. Sicherheit und Zufriedenheit, so fühlt sich für Jesaja der Himmel an. Für die enttäuschten Israelit:innen, die damals aus dem babylonischen Exil nach Juda zurückkamen und die alte Heimat zerstört und desolat vorfanden, muss das ein tröstlicher Gedanke gewesen sein. Es kann einmal alles so werden, wie wir es uns wünschen.

Das Neue Testament geht in der Offenbarung sogar noch einen Schritt weiter als der Prophet. Sogar der Tod soll unter dem neuen Himmel auf der neuen Erde nicht mehr sein. An seiner Stelle: das ewige Leben. Mehr geht nun wirklich nicht. Wie dieses ewige Leben denn nun aussieht, dazu gibt es wohl so viele Meinungen wie es Menschen auf diesem Erdball gibt. Die einen tröstet die Vorstellung eines paradiesischen Ortes, an dem es einem an nichts und niemandem fehlt. Die anderen hoffen auf ein Wiedersehen mit einem geliebten Menschen. Wieder andere glauben an ein nicht endendes Geborgen-Sein, das völlige Aufgehobensein in Gott. Für mich ist das ewige Leben der Zustand größtmöglicher Vollkommenheit. Ganzheit. Die Zeit und der Ort, an dem alle Bruchstücke unseres Lebens zusammengefügt werden. Das Ziel, auf das wir als Christ:innen trotz allem ausgerichtet sein können, wenn wir die Anfechtungen unserer alltäglichen Niederlagen erleben. Vor Gott, davon bin ich überzeugt, bleibt nichts offen und unfertig im Leben.

Doch wie kann man sich das denken? Vielleicht ist diese Vollkommenheit vergleichbar mit dem sogenannten Kintsugi, der aus Japan stammenden Technik der Goldreparatur. Keramik- oder Porzellanstücke werden dabei, wenn sie zu Bruch gehen, eben nicht entsorgt, sondern mit einem speziellen Kleber wieder fixiert. Fehlende Stücke werden dabei durch Kittmasse ergänzt, die mit Pulvergold angereichert ist. Auf diese Weise entsteht aus Fehlern und Mängeln letztendlich ein vollkommenes Ganzes, das durch den Anteil an Gold aufgewertet wird. Was für ein schönes Bild für unser Leben vor Gott. Was für ein schöner Trost für die Menschen, die wir lieben. Gott hüllt uns golden ein, macht unser Leben letztlich zu kunstvollen Schätzen.  AMEN

Pastorin Sara Burghoff

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